Expertenbeitrag

Kraftvolle Strömung statt heißer Luft: Die politische Rede als Windrad, das Köpfe und Herzen bewegt

Ob Neujahrsansprache, Wahlkampfrede oder Grußwort – eine Rede kann empören oder überzeugen, verwirren oder erhellen, verhallen oder Begeisterungsstürme entfachen. „Worte sind Luft. Aber die Luft wird zum Wind, und der Wind macht die Schiffe segeln“, ist ein bekannter Merksatz unter Redenschreiber/-innen.

Doch wie entfacht die politische Rede eine kraftvolle Strömung statt heißer Luft? Wie wird sie zum zentralen Instrument politischer Führung, das dazu beiträgt, Verheißung zu organisieren und Mehrheiten für die eigene Politik zu gewinnen? Genauso wie eine kraftvolle Windkraftanlage typischerweise aus drei Rotorblättern besteht, hat eine wirkungsvolle Rede drei Kernelemente.

 

1. Klare Kernbotschaft

Ich bin ein Berliner … Durch Deutschland muss ein Ruck gehen … Wir wählen die Freiheit - im Zentrum einer guten politischen Rede steht zuallererst ein einziger, kraftvoller Satz. Er beantwortet mit möglichst eingängigen Worten die Frage: Was ist mein ureigenes Anliegen als Politiker/-in mit dieser Rede? Was möchte ich, dass mein Publikum als Merksatz mit nach Hause nimmt?

Redenschreiben bedeutet, die eigenen Gedanken und Inhalte auf das Wesentliche zu fokussieren und sie zu komprimieren. Der griechische Lyriker Archilochos hat für die Kunst zur Reduktion ein berühmtes Bild gefunden: „Der Fuchs weiß viele Dinge, aber der Igel weiß eine große Sache.“ Das Ziel beim Redenschreiben muss es daher sein, sich auf einen Satz mit möglichst großer Wirkung zu konzentrieren. Also: weniger ist mehr.

Eine Kernbotschaft ist meistens dann überzeugend und wirkungsvoll, wenn sie vier Kriterien erfüllt: Sie ist bildhaft, verständlich, sprachlich originell. Sie ist zusammenfassend und reduziert Komplexität. Sie ist stark wertend und vertritt eine klare Meinung. Und sie ist führungsstark und spricht einen in die Zukunft gerichteten Appell aus. Kann das überhaupt gelingen? Yes, we can!

 

 

2. Stringente Gliederung

Eine gute Kernbotschaft alleine entfaltet noch keine überzeugende Wirkung. Sie bleibt bestenfalls ein interessanter Satz, der aber nicht verinnerlicht werden kann, weil die Glaubhaftmachung durch eine umgebende Struktur fehlt. Die Kernbotschaft muss eingeführt, ausgeführt und abgebunden werden. Es kommt also nicht nur auf die Auswahl der Kernbotschaft, sondern auch auf ihre Anordnung an.

Dazu bieten sich – ob kurzes Grußwort oder längere Grundsatzrede – die folgenden fünf Abschnitte an:

  • eine Einleitung, die Aufmerksamkeit gewinnt und eine Beziehung zum Publikum aufbaut;
  • ein Spannungsaufbau, der die Ausgangslage analysiert und mit der Analyse zur Kernbotschaft hinführt;
  • die Kernbotschaft als dramaturgischer Höhepunkt der Rede, die den Spannungsbogen auflöst, also die Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart ist;
  • die systematische Plausibilisierung der Kernbotschaft durch Beweise, Belege und Begründungen;
  • der Schlussappell, der die Kernbotschaft wiederholt und einen Handlungsimpuls auslöst.

Auf die Entwicklung der Kernbotschaft folgt somit in der Regel ein schematischer Gliederungsentwurf, der gedanklich die Rede skizziert, aber noch kein ausformulierter Text ist. Wichtig ist in diesem Produktionsstadium nicht die Sprache, sondern die dramaturgische Gedankenführung, die sich an einem berühmten Hollywood-Grundsatz orientieren sollte: „Mit einem Erdbeben anfangen und dann langsam steigern.“

 

3. Lebendige Sprache

Erst nach Identifikation der Kernbotschaft und Entwurf der Gliederung folgt die sprachlich-stilistische Produktion des Redemanuskripts. Es geht hier um das Vermitteln der Kernbotschaft in einer sprachlichen Form, die allgemeinverständlich, unterhaltsam und wirkungsvoll ist. Auch dazu gibt es eine hilfreiche Devise, und zwar von Lessing: „Schreibe, wie Du redest!“

Das bedeutet: Einfache und bildhafte Worte wie schmelzende Polkappen und Gletscher wählen und abstrakte Wörter wie Klimaerwärmung meiden. Es bedeutet, einfach Sätze zu wählen – also Hauptsätze mit max. 10-12 Wörtern ohne Nebensätze und ohne Substantivierungen. Statt: „Nach erfolgter Ankunft und Besichtigung der Verhältnisse war mir die Erringung des Sieges möglich.“ Besser: „Ich kam, sah und siegte.“ Und es bedeutet, verschiedene Wortarten gezielt zu benutzen: Adjektive veranschaulichen, Verben bewegen, Pronomen verbinden und Substantive benennen Dinge: „Wir digitalisieren, automatisieren, vernetzen und elektrifizieren, um Mobilität möglichst sauber und effizient zu machen. Gleichzeitig wollen wir das Klima schützen. Um dies zu schaffen, brauchen wir die Forschung. Ohne Forschung kein Fortschritt.“

Klare Kernbotschaft, stringente Gliederung, lebendige Sprache: So entstehen rhythmische Reden, die Aufmerksamkeit schaffen, Orientierung geben und in Erinnerung bleiben. Kurzum: So wird die politische Rede zum Windrad, das Köpfe und Herzen bewegt.

 

Über den Autor

Michael Dobis ist Diplom-Politologe und Redenschreiber. Für die Konrad-Adenauer-Stiftung gibt er Redenschreiben-Seminare.

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