Expertenbeitrag

Steuerung ohne Bevormundung - Nudging als Instrument politischer Kommunikation

Die Politik befindet sich in einem Rollenkonflikt: Einerseits ist die politische Steuerung von BürgerInnen ihre Aufgabe, andererseits ist es ihre Pflicht, demokratische Werte wie Wahlfreiheit zu realisieren und zu verteidigen. Doch Steuerung ohne Bevormundung und Regulierung ohne Zwang, geht das überhaupt?

Sogenannte „Nudges“ (engl. für Stupser) sollen die Lösung sein. Verhaltensökonom Richard Thaler und Rechtswissenschaftler Cass Sunstein haben im Jahr 2008 mit dem Nudging zu einer liberal-paternalistischen Bewegung in der Politik aufgerufen. Die Idee ist einfach. Mit kleinen Veränderungen des Entscheidungsumfeldes wird wünschenswertes Verhalten gefördert, anstatt unerwünschtes Verhalten zu verbieten. Dahinter stecken keine großangelegten Reformen, Gesetzestexte oder Investitionsprojekte. Die Politik soll viel eher Mechanismen der menschlichen Entscheidungsfindung verstehen lernen, um daraufhin kleine Kniffe anzuwenden, die wohlfahrtsorientiertes (z.B. gesünderes, sparsameres, sichereres) Verhalten hervorrufen.

 

Homo heuristicus statt homo oeconomicus

BürgerInnen müssen bei Nudges nicht fürchten, bevormundet oder kontrolliert zu werden. Trotzdem verhalten sie sich so, dass alle davon profitieren – so zumindest das Versprechen. Menschen können nur begrenzt Informationen aufnehmen und schon gleich gar nicht alle Informationen verarbeiten. Unser Gehirn nimmt deswegen Abkürzungen mit denen Entscheidungen schnell getroffen werden. Dies führt aber auch zu irrationalem Verhalten.

Menschen neigen beispielsweise zu Optimismus und rechnen sich unrealistische Chancen aus. Sie unterschätzen dadurch gleichzeitig Risiken – insbesondere Risiken, die in ferner Zukunft liegen. So unterschätzen sie beispielsweise ihr Risiko, von Altersarmut betroffen zu sein. Außerdem gewichten Menschen Verluste höher als Gewinne. Sie entscheiden sich folglich zum Beispiel gegen frühzeitige Investitionen in die eigene Altersvorsorge, weil sie der kurzfristige Verlust an verfügbaren Einkommen mehr schmerzt als der Zugewinn an Rente auf lange Sicht. Wenden PolitikerInnen Nudging richtig an, so stellen sie in Kampagnen deswegen nicht die kurzfristigen Kosten in den Vordergrund, sondern betonen kurz- und langfristige Zugewinne durch private Altersvorsorge.

Weiterhin gelten soziale Normen als wichtiger Orientierungspunkt für die Entscheidungsfindung. Menschen zeigen eher Verhalten, das sie als sozial konform erachten. Sie schwimmen also gerne mit dem Strom. Umweltkampagnen zum Beispiel, sollten demnach kurzfristige negative Auswirkungen von umweltfeindlichen Verhalten verdeutlichen und gleichzeitig aufzeigen, wie viele Menschen bereits umweltfreundlich handeln.

Auch die politische Meinung kann „genudgt“ werden. Ein Schweizer Forschungsteam fragte ProbandInnen nach ihren Meinungen zu einer akzeptablen Anzahl an MigrantInnen. Zuvor präsentierten sie den Befragten Statements von PolitikerInnen. Verwenden PolitikerInnen numerische Anker, zum Beispiel die Zahl 100.000, um zu beschreiben, welche Anzahl an MigrantInnen aus ihrer Sicht akzeptabel sei, so näherten sich die Antworten der Befragten dem Ankerwert an. Dies gilt sogar unabhängig von der politischen Positionierung.

Die inhaltliche Botschaft einer Kampagne bleibt, nur die Art und Weise, wie die Kampagne diese Botschaft kommuniziert verändert sich. Und die Liste der bekannten Verzerrungen in der menschlichen Entscheidungsfindung ist ebenso lange wie die Liste der Strategien, um irrationales Verhalten abzuwenden. Nudging bietet damit einen umfassenden Werkzeugkasten für die politische Kommunikation.

 

Mit großer Macht kommt auch große Verantwortung

Nichtsdestotrotz zeigen gerade die oben aufgeführten Beispiele, dass Nudging mit Verantwortung einher geht. Die meisten Strategien wirken unterbewusst. Der Grat zwischen Persuasion und Manipulation ist damit schmal. Zudem definiert die Instanz, die einen Nudge implementiert, auch gleichzeitig, welches Verhalten als „richtig“ angesehen wird. So können partikulare Parteiinteressen an die Stelle von wohlfahrtsorientierten Bestrebungen treten. Inwiefern Nudging sich für die Durchsetzung von politischen Interessen eignet, bedarf also auch immer einer ethischen Abwägung.

Ähnlich wie Philosoph Paul Watzlawick in seinem berühmten Zitat „Man kann nicht nicht kommunizieren“ postulierte, wäre es im Sinne von Thaler und Sunstein zu sagen, „Man kann nicht nicht nudgen“. Denn Menschen unterliegen immer den Einflüssen von Entscheidungsumgebungen. Viel eher muss darauf geachtet werden, dass Nudges richtig gewählt, gestaltet und eingesetzt werden.

 

 

Über den Autor

Jana Dombrowski ist Medienpsychologin an der Universität Hohenheim. Dort forscht sie unter anderem zum Thema Nudging.

Dr. Michael Johann ist Kommunikationswissenschaftler und forscht insbesondere zu Digitaler, Strategischer und Politischer Kommunikation.

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