Expertenbeitrag

Wahlkampf-Evergreen: Der Rallye-Around-The-Flag-Effect

In jeder Krise liegt auch eine Chance. Für Kampagnenmacherinnen gilt diese Weisheit dank des „Rallye-Around-The-Flag-Effects“ ganz besonders. Mit guter Kommunikation kann man hier viel gewinnen.

 

Demonstrative Einheit wird zur „Stunde der Exekutive“

Erstmals wurde der „Rallye-Around-The-Flag-Effect“ im Jahr 1970 vom Politikwissenschaftler John Mueller beschrieben.[1] Er meint einen kurzfristigen, kräftigen Beliebtheitsschub eines Regierungsoberhaupts in Zeiten von Krisen, Notfällen oder Kriegen. Angesichts des externen Drucks geraten interne Streitigkeiten – beispielsweise zwischen den unterschiedlichen Parteien – in den Hintergrund. Denn es braucht eine demonstrative Einigkeit in der Außenwirkung. Bei nationalen Krisen reagieren die Bürgerinnen und Bürger auf die Signale von Bedrohung und versammeln sich hinter ihrer politischen Führung. Im Deutschen wird der „Rallye-Around-The-Flag-Effect“ deswegen auch als „Stunde der Exekutive“ bezeichnet.

Drei Bedingungen sollten laut Müller erfüllt sein:

  1. Die Krise ist internationaler Natur.
  2. Die Krise betrifft das gesamte Land.
  3. Die Krise ist ungewöhnlich, aber konkret und dramatisch.

 

Der „Rallye-Around-The-Flag-Effect” braucht keinen Krieg

Schaut man genauer hin, lässt sich dieser Effekt aber auch im Kleinen beobachten. Erinnern Sie sich noch an den Bundestagswahlkampf mit den Spitzenkandidaten Edmund Stoiber und Gerhard Schröder? Die Bilder aus den Flutgebieten, mit denen sich der amtierende Kanzler Gerhard Schröder als Krisenmanager präsentierte? Vielleicht wäre die Wahl im Jahr 2002 ohne diese Krise, die auf das Konto des Kanzlers einzahlte, anders ausgegangen. Wer die „Stunde der Exekutive“ erklären möchte, muss allerdings nicht zwanzig Jahre in die Vergangenheit schauen. Drei aktuelle Beispiele:

  1. Der ukrainische Präsident Volodymyr Zelenskyy war in der Ukraine weit vom Heldenstatus entfernt. Im Dezember 2021 waren lediglich 32 Prozent der ukrainischen Bevölkerung mit seiner Arbeit zufrieden. Drei Tage nach der Invasion am 24. Februar 2022 erreichte er 91 Prozent Zustimmung in seiner Bevölkerung.[2] Die Krise erfüllt alle drei oben genannten Kriterien.
  2. Auch in Deutschland bewirkte der russische Angriffskrieg auf die Ukraine einen „Rallye-Around-The-Flag-Effect“: Zwei Wochen vor der Wahl fanden 56 Prozent der Deutschen die Arbeit von Bundeskanzler Scholz gut oder eher gut. Zwei Wochen nach der Invasion waren es 73 Prozent – sein persönlicher Höchstwert. Mittlerweile finden 55 Prozent seine Arbeit eher gut oder gut (Stand: 09. September 2022).[3] Hier zeigt sich die Kurzfristigkeit der Popularitätsschubs.
  3. Weltweit ließ sich der Effekt auch während der Corona-Pandemie beobachten. In den Wochen nach dem Ausbruch im Frühjahr 2020 verbesserten sich die Umfragewerte des politischen Führungspersonals in westeuropäischen Ländern und den USA. Die Zustimmungswerte zur Arbeit der Bundeskanzlerin Angela Merkel kletterten von 68 Prozent eine Woche vor dem ersten Lockdown in Deutschland auf 83 Prozent nicht einmal anderthalb Monate später.[4] Hier zeigt sich, dass auch eine nationale Notlage den „Rallye-Around-The-Flag-Effect“ befördern kann. Zwar ist eine Pandemie qua Definition international, es handelte sich aber nicht um einen wie von Mueller beschriebenen internationalen Konflikt.

 

Warum Wahlkämpferinnen den „Rallye-Around-The-Flag-Effect“ kennen sollten

Für die Kommunikation ergibt sich aus dem „Rallye-Around-The-Flag-Effect“ eine wichtige Lehre: Man weiß zwar nie, welche Krise kommt und vor allem, wann sie eintritt. Doch ist sie erst einmal da, empfiehlt sich eine staatstragende Rolle. In der Opposition gilt es, die Regierung zu stützen statt auf Konfrontation zu setzen. Schließlich läutet die „Stunde der Exekutive“. Die Bevölkerung erwartet Sicherheit und Krisenmanagement und versammelt sich hinter der bestehenden politischen Führung. In der Führungsrolle kann man auf überparteilichen Zusammenhalt pochen, falls er nicht ohnehin eintritt. Darüber hinaus ist Stärke und die Beschwörung der gemeinsamen Kraft gefragt. Nicht immer lassen sich Krisen auf Naturkatastrophen oder irrationale Despoten zurückführen. Manchmal lässt auch ein politischer Mitbewerber oder eine Mitbewerberin einen Konflikt eskalieren oder beginnt wie aus dem Nichts einen Streit. Hier lohnt sich ein kurzer Moment der Analyse: Könnte es an schlechten Umfragewerten und/oder einer anstehenden Wahl in der Heimat liegen – kurz: an politischem Kalkül? Klar ist: Der „Rallye-Around-The-Flag-Effect“ funktioniert auch im Kleinen.

[1] https://www.jstor.org/stable/1955610?seq=1

[2] https://ratinggroup.ua/en/research/ukraine/obschenacionalnyy_opros_ukraina_v_usloviyah_voyny_26-27_fevralya_2022_goda.html

[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1295763/umfrage/bewertung-der-arbeit-von-olaf-scholz-als-bundeskanzler/

[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1251522/umfrage/bewertung-der-arbeit-von-angela-merkel-als-bundeskanzlerin/

 

 

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Über den Autor

Marcel Schmidt ist Referent für Politische Kommunikation bei der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie Autor und Redakteur im Politsnack.

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