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Gesundheitssystem und Lebenserwartung
Das Gesundheitssystem mit seinen Polikliniken und Pflichtreihenuntersuchungen galt international als vorbildlich. Doch der zunehmende Mangel an Mittel für moderne Geräte, Analysemethoden und Arzneimittel hatte in der Praxis deutlich spürbare negative Folgen – bis hin zu einer Verringerung der Lebenserwartung.
Trotz der offiziell propagierten Gleichheit existierte in der DDR eine qualitativ unterschiedliche Gesundheitsversorgung für verschiedene Bevölkerungskreise. Während etwa im Regierungskrankenhaus, der Berliner Charité oder den Krankenhäusern der Wismut-Werke (die in Sachsen und Thüringen den Uran-Bergbau betrieben) zutrittsberechtigten Patienten eine erstklassige Behandlung zuteil wurde, mussten die meisten Krankenhäuser seit den 70er Jahren mit einer veralteten technischen Ausstattung und häufig auch mit unzureichenden medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten auskommen. So kam Ende der 1980er Jahre nur ein Computertomograph auf 600.000 Einwohner (Westeuropa 1 CT je 100.000 Einwohner) und ein Ultraschall-Gerät auf 32.000 Einwohner (Westeuropa: 1 Gerät je 2500 Einwohner). Völlig unzureichend war beispielsweise auch die Ausstattung mit Dialysegeräten. Zahnärzte verfügten fast ausschließlich über veraltete Trockenbohrer, deren Hitzeentwicklung jede Zahnbehandlung zu einer Tortur werden ließ.
Abb.: Operation im Südstadt-Krankenhaus in Rostock (1971, © Bundesarchiv, Bild 183-K0612-0001-004 / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE)
Krankenhauspatienten waren überwiegend in Vier- bis Achtbettzimmern untergebracht. Insulin (bei Diabetes) oder wirksame Herz-Kreislauf-Mittel konnten der übergroßen Mehrheit der Patienten nicht dauerhaft verschrieben werden. Besonders in den 1980er Jahren wurde ihnen empfohlen, sich, soweit möglich, dringend benötigte Medikamente durch Verwandte oder Bekannte aus Westdeutschland schicken zu lassen. Wer über keine Beziehungen verfügte, stand vor schier unüberwindlichen bürokratischen Genehmigungshürden.
Das Gesundheitswesen der DDR war nahezu vollständig verstaatlicht, die Zahl der privat niedergelassenen Ärzte betrug 1989 noch ein Prozent. Vor allem bis 1961 und dann wieder in den 1980er Jahren führte eine massenhafte Ärzteflucht zu einem chronischen Mangel besonders an den dringend benötigten Spezialisten.
Ein positiver Aspekt des Systems war das breit gefächerte Angebot an Vorsorgeuntersuchungen. Dazu gehörten turnusmäßige Pflichtuntersuchungen bei Schwangerschaft, regelmäßige Reihenuntersuchungen in Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen sowie ambulante Röntgenfahrzeuge für Reihenuntersuchungen in kleineren Städten und auf Dörfern.
Abb.: Kinderärztliche Untersuchung in Bocksee (1983, © Bundesarchiv, Bild 183-1983-0920-007 / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 D)
Ebenfalls eine Errungenschaft stellten die Polikliniken zur ambulanten ärztlichen Betreuung dar. In ihnen waren – stärker noch als in Ärztehäusern heute – Allgemein- und Fachärzte vom Augenarzt über den Chirurgen, Gynäkologen und Orthopäden bis zum Zahnarzt und dazu noch die notwendigen Labore unter einem Dach konzentriert. Das erlaubte eine sehr rationelle ärztliche Behandlung im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten.
Vorrangiges Ziel der Gesundheitspolitik war die Sicherung der Arbeitskraft. Gleichzeitig lebten die DDR-Bürger im Vergleich zu den Westdeutschen deutlich ungesünder. Ein Aspekt davon war eine einseitige, kalorienreiche Ernährung mit zu wenig Obst und Gemüse und überdurchschnittlich viel – überwiegend fettem – Schweinefleisch (96 kg pro Kopf und Jahr) und Zucker (43 kg) – ein Phänomen, das primär einer mangelhaften Versorgung geschuldet war. Zugleich führte die allgemeine Unzufriedenheit zu einem alarmierend zunehmenden (und vom Staat geduldeten) Alkoholkonsum: Jeder der 16,5 Millionen Einwohner konsumierte 1989 statistisch mit 146 Liter Bier und 15,5 Liter Schnaps das Vierfache des Pro-Kopfverbrauchs von 1960.
Abb.: Bäderabteilung der Großpraxis Berlstedt (1976, © Bundesarchiv, Bild 183-R0504-0326 / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE)
Die hohe Belastung der Umwelt, Mängel in der ärztlichen Versorgung und eine ungesündere Lebensweise führten insgesamt dazu, dass die Lebenswartung in der DDR in den 1980er Jahren bei Frauen mit 75,7 Jahren um drei Jahre und bei Männern mit 69,7 Jahren um 2,5 Jahre unter dem bundesdeutschen Durchschnitt lag. Knapp zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung liegt die Lebenserwartung Ost dagegen nahezu wieder auf westdeutschem Niveau.
Quellennachweis
- Monika Deutz-Schroeder / Klaus Schroeder: Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern – ein Ost-West-Vergleich, Stamsried 2008, S. 203.