Rita Schorpp/KAS e.V.

Die neue Ostpolitik

Die im Oktober 1969 neu gebildete Bundesregierung aus SPD und FDP konnte an die neu akzentuierte Ostpolitik der Regierung unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger anknüpfen. Am 28.10.1969 widmete Bundeskanzler Willy Brandt der Deutschlandpolitik in seiner Regierungserklärung einen breiten Raum. Er sprach von „zwei Staaten in Deutschland“, die allerdings „füreinander nicht Ausland“ seien, sondern Beziehungen von „besonderer Art“ entwickelten. Eine Konkretisierung der darin enthaltenen Vorstellungen erfolgte in den Verträgen von Moskau (12.8.1970), Warschau (7.12.1970) und Prag (21.12.1973).

In zeitlichem und sachlichem Zusammenhang damit stand das von den Siegermächten abgeschlossene Vier-Mächte-Abkommen über Berlin (3.9.1971). Die wichtigsten Bestimmungen betrafen die Zustimmung der Sowjetunion zu einem freien Transitverkehr von Personen und Gütern zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin. Die Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik wurden durch dieses Abkommen bestätigt. Die Verträge von Moskau und Warschau ratifizierte der Deutsche Bundestag am 17.5.1972, nachdem die CDU-Opposition eine gemeinsame Erklärung des Bundestags erzwungen hatte, in der nochmals darauf hingewiesen wurde, dass die Verträge „eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland nicht vorwegnähmen“ und „keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen“ sein dürften. Mit einem „Brief zur Deutschen Einheit“ wurde diese Rechtsposition der Bundesrepublik nochmals bekräftigt.

Abb.: Treffen Willy Brandt mit Willi Stoph in Erfurt (1970, © Bundesarchiv, B 145 Bild-F031406-0017 / CC-BY-SA 3.0)

Die Bundesregierung war sich bei ihrer Ostpolitik darüber im Klaren, dass eine „Normalisierung“ des Verhältnisses zur DDR ohne die Verträge mit der Sowjetunion und Polen keine Chance hatte. Im Dezember 1972 wurde der „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR“ (Grundlagenvertrag) unterzeichnet, der die Basis für die Einzelverträge mit der DDR in verschiedenen Bereichen und für den Ausbau der innerdeutschen Verbindungen auf privater Ebene bildete. Der Bundestag stimmte dem Grundlagenvertrag sowie dem „Gesetz zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen“ am 11.5.1973 zu. Ein Problem der Vertragspolitik mit der DDR war, dass beide Seiten von unterschiedlichen, z. T. gegensätzlichen Zielen ausgingen. Während die DDR-Führung die Beziehungen zu „normalisieren“ suchte, indem sie Beziehungen zur Bundesrepublik zu etablieren versuchte, wie sie auch sonst zwischen Staaten üblich sind, also den staats- und völkerrechtlichen Sondercharakter der innerdeutschen Beziehungen zu nivellieren bemüht war, strebte die Bundesregierung danach, vor allem eine Normalisierung für die Menschen zu erreichen – über die innerdeutsche Grenze hinweg. Praktisch bedeutete dies: möglichst viele Verbindungen und Kontakte.

Bei der Ratifizierung des Vertrages lief noch eine Normenkontrollklage der Bayerischen Staatsregierung, durch welche die Vereinbarkeit des Grundlagenvertrags mit dem Grundgesetz überprüft werden musste. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde am 31.7.1973 verkündet. Die Klage wurde zwar abgewiesen, in der Urteilsbegründung wurde aber gleichzeitig unmissverständlich definiert, unter welchen Bedingungen der Vertrag mit dem Grundgesetz im Einklang stand: Er durfte nicht als Teilungsvertrag interpretiert und die DDR nicht völkerrechtlich – also als Ausland – anerkannt werden. Dies bedeutete zugleich, dass die deutsche Nation weiterbestand. Gleichzeitig verpflichtete das Urteil alle Verfassungsorgane erneut auf das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes. Diese Vorstellungen wurden von der DDR zurückgewiesen. Die nationale Frage, so hieß es amtlich, sei „schon entschieden“. Die Aufnahme der DDR als 133., die der Bundesrepublik als 134. Mitglied in die Vereinten Nationen erfolgte am 18.9.1973.

Abb.: Pressekonferenz nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags mit Egon Bahr und Dr. Michael Kohl (1972, © Bundesarchiv, Bild 183-L1221-0020 / Link, Hubert / CC-BY-SA 3.0)

Die Amtszeit der Regierung unter Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher war geprägt von dem Bemühen, die Verträge mit Leben zu füllen. Als hilfreich für die Politik der Bundesrepublik erwies sich die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), in deren Schlussakte (1975) u. a. Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Zusammenarbeit der Staaten in humanitären Fragen kodifiziert wurden. Damit war für die Verhandlungen mit der DDR eine neue Berufungsgrundlage geschaffen. Die DDR ihrerseits bemühte sich, die Grundlagen im Sinne ihrer Abgrenzungspolitik „nachzubessern“, z. B. durch die vier Geraer Forderungen Erich Honeckers (Anerkennung einer „DDR-eigenen“ Staatsbürgerschaft, Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle für DDR-Unrecht in Salzgitter, Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften, Regelung des Grenzverlaufs entlang der Elbe „entsprechend dem internationalen Recht“). Die Verschärfung des Ost-West-Konflikts (sowjetische Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen, westliche Nachrüstung, Krise in Polen, sowjetischer Einmarsch in Afghanistan) seit Ende der 70er Jahre beeinflusste auch die innerdeutschen Beziehungen. Das Ende der Regierung Schmidt/Genscher stand im Zeichen einer Abkühlung der Beziehungen zu den westlichen Verbündeten und einer gleichzeitigen Stagnation in der Ostpolitik.

Abb.: KSZE-Konferenz in Helsinki, Unterzeichnung der Schlussakte: Bundeskanzler Helmut Schmidt, D, Staatsratsvorsitzender Erich Honecker, DDR, Präsident Gerald Ford, USA, Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky, Österreich (1975, © Bundesarchiv, Bild 183-P0801-026 / CC-BY-SA 3.0)