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Mythos: „Die DDR war von Anfang an wirtschaftlich benachteiligt“

„Auferstanden aus Ruinen“ heißt es in der Titelzeile der von Johannes R. Becher verfassten Nationalhymne der DDR. Und dies galt in der Tat für ganz Deutschland: Die Aufbauleistungen nach dem 2. Weltkrieg konnten sich in Ost- wie Westdeutschland sehen lassen.

Zerstörungen waren in ganz Deutschland ähnlich hoch

Aber obwohl die Schäden an den Produktionsanlagen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nicht höher waren als in den drei Westzonen, blieb das große „Wirtschaftswunder“ in Ostdeutschland aus. Allerdings behauptete die SED-Führung, Bodenkämpfe und Luftangriffe hätten im östlichen Teil Deutschlands weitaus größere Zerstörungen hinterlassen als im Westen. So steht im Staatsbürgerkunde-Lehrbuch für das 7. Schuljahr von 1972, in der SBZ wäre fast die Hälfte der Industrieanlagen vernichtet worden. Demgegenüber hätten die kriegsbedingten Ausfälle in den westlichen Zonen gerade einmal bei einem Fünftel gelegen. War die Ausgangslage im späteren Arbeiter- und Bauernstaat DDR tatsächlich so ungünstig gewesen?

Reparationsleistungen an die UdSSR gingen zu Lasten der DDR-Bürger

Bei der Potsdamer Konferenz bestätigten und konkretisierten die Siegermächte USA, Großbritannien und die UdSSR die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen. Damit einher ging der Beschluss, Deutschland auch als Reparationsgebiet zu teilen. Damit konnte jede Besatzungsmacht frei entscheiden, ob und wie sie in ihrer Zone Reparationsleistungen durchsetzen wollte. Der Historiker Hermann Graml konstatiert, dass diese Entscheidung „zu Lasten der Bewohner der sowjetischen Zone ging, die nun nahezu allein die sowjetischen Reparationsansprüche zu befriedigen hatten und so nach menschlicher Voraussicht einer weitaus brutaleren Ausplünderungs- und Ausbeutungspolitik überantwortet wurden, als sie sonst gewärtigen mußten.“

In den Westzonen wurden insgesamt 668 Werke abgebaut, was zu Kapazitätsverlusten von etwa fünf Prozent führte. In der SBZ wurden dagegen zwischen 2000 und 3000 Betriebe demontiert und mindestens 30 Prozent der industriellen Kapazitäten von 1944 zerstört. Die Demontagen wirkten damit viel einschneidender als die unmittelbaren Kriegszerstörungen. Die verbleibenden Anlagen waren oft überaltert. Darüber hinaus wurden auf fast allen Reichsbahnhauptstrecken die zweiten Gleise abgebaut. Hinzu kamen Produktentnahmen aus der laufenden Fertigung und finanzielle Reparationsleistungen.

Theoretisch gute Voraussetzungen für einen gelungenen Wiederaufbau

Für einen wirtschaftlichen Wettlauf mit der Bundesrepublik fehlten der DDR also von vornherein die Voraussetzungen. Dennoch wuchs die Produktion in der Nachkriegszeit deutlich, allerdings vor allem durch ein überproportionales Beschäftigungswachstum. Erst Mitte der 1950er Jahre konnte der Wiederaufbau der Wirtschaft in der DDR abgeschlossen werden. Auch der individuelle Konsum erreichte das Vorkriegsniveau wesentlich später als in der Bundesrepublik. Der Leistungsverfall der DDR-Wirtschaft, der sich in späteren Jahren abzeichnete, lässt sich aber nicht primär den Startbedingungen anlasten.

Die SBZ/DDR hatte nach Kriegsende für einen erfolgreichen wirtschaftlichen Neubeginn durchaus auch gute Voraussetzungen. Vor 1945 hatten zahlreiche innovative Unternehmen ihren Hauptsitz in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Berlin-Brandenburg. Die meisten von ihnen verlegten jedoch nach Kriegsende ihren Standort von Ost nach West. Wirtschaftshistoriker sind sogar der Auffassung, dass das Gebiet der SBZ über ein größeres Potential im Hinblick auf Industriedichte, Humankapital und Infrastruktur verfügt hätte als der westliche Teil Deutschlands. Unter den Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft hätten auch die Menschen in der späteren DDR ein großes „Wirtschaftswunder“ schaffen können. Aber immerhin gelang es der DDR trotz der teils gewollten, teils erzwungenen Abschottung vom Weltmarkt, der Einbindung in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW – gegründet als Antwort auf den Marshall-Plan) und der chronischen Innovationsschwäche des planwirtschaftlichen Systems, nicht nur wirtschaftlich zu überleben, sondern den höchsten Lebensstandard im RGW zu erreichen. Dafür verantwortlich waren aber nicht die sozialistischen Produktionsverhältnisse, sondern der Fleiß und der Erfindergeist der Menschen in der DDR.