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Neonazis in der DDR
Das verleugnete Problem
Als am 17. Oktober 1987 in der Ostberliner Zionskirche ein Punk-Konzert von Neonazis überfallen wurde, wurde die Öffentlichkeit erstmals mit diesem Problem konfrontiert. Etwa 30 Skinheads drangen mit Fahrradketten und Stangen bewaffnet und dem Ruf: „Juden raus aus deutschen Kirchen“, „Sieg Heil“ in das Gebäude ein. Sie begannen auf die Konzertbesucher einzuschlagen. Die Flüchtenden wurden bis auf die Straße verfolgt und unter den Augen der untätigen Volkspolizei weiter verprügelt. Wer sich an die Ordnungshüter wandte und um Schutz bat, wurde abgewiesen. Die durch ihre kurzgeschorenen Haare, Bomberjacken und Springerstiefel deutlich erkennbaren Täter blieben an diesem Tag von der sonst schnell zuschlagenden Staatsmacht unbehelligt. Die Nachricht von diesem Skandal sprach sich wie ein Lauffeuer in Berlin herum. Wie konnte das geschehen?
Selbst kritischen Oppositionellen war es bislang nicht in den Sinn gekommen, die antifaschistische Grundhaltung der Verantwortlichen in der DDR anzuzweifeln. Antifaschismus war eine Doktrin, die jedem Jugendlichen eingeimpft wurde. War das nur eine hohle Fassade? Und wenn ja, was verbarg sich dahinter?
Offiziell war man mit der Erklärung schnell bei der Hand: dass bei diesem Überfall einige wenige Skinheads aus Westberlin beteiligt gewesen seien; dass der Überfall vom Klassenfeind inszeniert worden sei, um dem internationalen Ansehen der DDR zu schaden.
Abb.: Neonazis demonstrieren in Leipzig (1990, © Bundesarchiv, Bild 183-1990-0115-032 / Kluge, Wolfgang / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE)
Nach der Öffnung der Stasi-Akten zeigte sich indes ein völlig anderes Bild. Der Ausgangspunkt des Überfalls war eine Feier in der Ostberliner Diskothek „Sputnik“, gewesen, wo die Skins die Verabschiedung eines der Ihren zum 10-jährigen Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee gefeiert hatten. Die Prügelei sollte der Höhepunkt des Festes werden.
Skinheads als Freiwillige in der Nationale Volksarmee (NVA)? Das war ein wohl gehütetes, aber kein seltenes Phänomen. Die Härtesten gingen zu den Fallschirmjägern. Wer die hohen gesundheitlichen Anforderungen nicht erfüllte, wurde mit Verachtung aus der Gruppe ausgeschlossen. Seit ihrem Bestehen hatte die NVA anziehend auf Rechtsradikale gewirkt.
Zwischen 1965 und 1980 gab es 730 Vorfälle mit rechtsextremistischen Hintergrund, die von der Stasi erfasst wurden. Dies ist wenig, bezogen auf die Gesamtzahl der Armeeangehörigen. Es handelt sich hierbei aber nur um die bekannt gewordenen Fälle. Die Dunkelziffer liegt höher. Das lässt sich aus der Art der Vorkommnisse schließen. So organisierten ein Unteroffizier und ein Jugendclubleiter zwischen 1965 und 1970 über hundert Gesprächsrunden, in denen über die „Vorzüge“ des Dritten Reiches debattiert wurde, ergänzt durch Lesungen aus Hitlers „Mein Kampf“ und dem „Völkischen Beobachter“. Zusätzlich wurden Reden von Goebbels angehört. Mehrere aktive Armeeangehörige nahmen an diesen Runden teil.
In einem anderen Fall haben sechs Unteroffiziere der 1. Staffel des Hubschraubergeschwaders 34 der Luftstreitkräfte-Luftverteidigung Brandenburg es für ein Jahr durchsetzen können, dass in ihrer Unterkunft mit dem Hitlergruß gegrüßt wurde. Sie verstanden sich als „Parteizelle der ehemaligen NSDAP“. Ihr Ziel war es, die Kampfmoral der Hubschraubertruppe zu „zersetzen“. Der Begriff „zersetzen“ war ein Schlüsselbegriff der Stasi. Sie benutzte ihn als Synonym für die Bekämpfung des politischen Gegners bis zur Vernichtung. Die sprachliche Übereinstimmung mag hier Zufall sein. Tatsache ist, dass selbst die Stasi keineswegs frei war von Rechtsextremismus. Eine Information der Stasi aus dem Jahr 1981 befasst sich mit rechtsextremistischen Auswüchsen im „Wachregiment Felix Dzerzynski, das der Stasi zugeordnet war. Auch hier begrüßten sich die Soldaten mit dem Hitlergruß, schwärmten von den „Heldentaten“ der SS und von Hitler. In den siebziger Jahren gab es im Regiment sogar eine „Braune Gruppe“. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre benutzte die Stasi gern die Drohung, neonazistische Überfälle nicht verhindern zu können, wenn die Kirchgemeinde ihre Pforten für eine Veranstaltung der Bürgerrechtsbewegung öffne. Etliche Neonazis wurden als Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi geführt. Sie kamen besonders im Kampf gegen die Jugendopposition zum Einsatz.
Natürlich bildeten sich rechtsextremistische Verhaltensweisen nicht erst in der Armee heraus. Dieses Gedankengut fand sich schon an den Schulen der DDR. Seit den siebziger Jahren wuchs die Zahl der rechtsextremistischen Vorkommnisse an den Schulen ständig. So registrierte die Stasi in nur einem halben Jahr um die 600 Fälle von „neofaschistischem Gedankengut“ in den Schulen der DDR. Wieder handelt es sich nur um die bekannt gewordenen Vorkommnisse. Die Zahl der rechtsextremistischen Jugendlichen schätzte die Stasi in den 80er Jahren auf 800 in 38 Gruppierungen. Von der oppositionellen Jugendbewegung der DDR wurde die Anzahl der Neonazis in der DDR auf 2.000 geschätzt. Da die Jugendlichen unmittelbar miteinander in Berührung kamen, ist die letztere Schätzung wohl genauer. Die Stasi räumte in einem internen Bericht ein, dass „Äußerungen faschistischen Charakters“ zunähmen. Je näher die DDR ihrem Ende kam, desto häufiger kam es zu rechtsextremistischen Zwischenfällen. Im letzten Jahr ihrer Existenz musste sie 188 Ermittlungsverfahren einleiten, gegen Personen, die wegen „Äußerungen faschistischen, rassistischen oder militaristischen Charakters“ auffielen. Bezogen auf die Neuen Bundesländer hatte schon damals Brandenburg die Nase vorn, mit 73 Verfahren. Dahinter folgen Ostberlin mit 33, Mecklenburg-Vorpommern mit 31, Sachsen mit 26, Sachsen–Anhalt mit 14 und Thüringen mit elf Fällen. Bezeichnend ist, dass die Neonazis, im Gegensatz etwa zu den Punks, gesellschaftlich gut integriert waren. Sie waren geachtete Mitglieder ihrer sozialistischen Arbeitskollektive, häufig als Bestarbeiter ausgezeichnet. Ihre Freizeit verbrachten sie mit Vorliebe organisiert, etwa in der „Gesellschaft für Sport und Technik“ (GST), einer paramilitärischen Jugendorganisation. Die Toleranz der GST, ging so weit, dass sie Wehrsportgruppen der Neonazis, die nach dem Vorbild von westlichen Wehrsportgruppen gebildet wurden, ihre Übungsplätze zur Verfügung stellte. Es gab aber, stellte die Stasi fest, keine nennenswerten Verbindungen zu Neonazigruppen in der BRD. Der Rechtsextremismus in der DDR war nicht fremdgesteuert, sondern ein genuines Gewächs auf dem Boden der sozialistischen Gesellschaft. Zu den Ursachen, die die Entwicklung zum Rechtsextremismus begünstigten, gehören der weit verbreitete Widerwillen der Bevölkerung gegen das SED-Regime mit seinem verordnetem Antifaschismus, den man als verlogen empfand. Daneben wurde besonders das Informations-, und das Erziehungssystem als heuchlerisch angesehen. „Die Propaganda der SED hatte sich durch Verfälschungen und Tabus derart diskreditiert, dass selbst eindeutige Tatsachen nicht mehr als solche wahrgenommen wurden.“( B. Eisenfeld). Ab Mitte der 70er Jahre kam mit der Sowjetisierungspolitik von Partei- und Staatschef Honecker die Verbitterung der Menschen über die endgültige Preisgabe der Deutschen Einheit hinzu. Fortan war der Gedanke, dass Deutschland ein zwar geteiltes, aber dennoch zusammen gehörendes Land sei, das größte Tabu. Also stellten die Neonazis die Wiedervereinigung in den Mittelpunkt ihrer erklärten Ziele, neben dem Kampf gegen Kommunisten und Ausländer. Wobei in der extrem ausländerarmen DDR damit vor allem die sowjetische Besatzungsmacht und die Vietnamesen gemeint waren.
Zeit ihres Bestehens hat es in der DDR keine Diskussion über die Ursachen des Rechtsextremismus im Land gegeben. Im Gegenteil. Es wurde alles getan, um Rechtsextremismus zu vertuschen. So wurden die Verantwortlichen für den Überfall auf die Berliner Zionskirche erst nach massiven öffentlichen Protesten gerichtlich belangt.
Allerdings wurde die Aktion als „rowdyhafte Ausschreitung Jungerwachsener gegen andere Bürger“ heruntergespielt und mit vergleichsweise milden Strafen bedacht. Erst nach weiteren Protesten wurden die Urteile härter.
Die SED hat nie die Verantwortung für die rechtsradikalen Brutstätten in ihrem Land übernommen. Im Gegenteil. Als PDS/Die Linke tut sie alles dafür, um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, die rechtsextremistischen Tendenzen in den Neuen Ländern wären das Resultat einer verfehlten Vereinigungspolitik. Dieser Geschichtslüge widersprechen die Akten, die das System hinterlassen hat. Aus ihnen geht klar hervor, dass die Skinheads der 80er und 90er Jahre ein Resultat des jahrzehntelangen Rechtsextremismus in der DDR sind.