Bundesstiftung Aufarbeitung, Ostkreuz, Harald Hauswald, Bild 900000hh535

Die Friedliche Revolution 1989

Seit Mitte der 1980er Jahre verschärften sich die Widersprüche in der DDR auf ökonomischem, kulturellem und auch ideologischem Gebiet enorm. Mit dem Beginn des 1985 einsetzenden Reformkurses in der UdSSR unter Michail Gorbatschow gewann auch die oppositionelle Bewegung im SED-Staat an Zulauf.

Die Friedensarbeit der evangelischen Kirche hatte seit 1982 zur Entstehung von sog. Basisgruppen geführt. In Leipzigs evangelischer Stadtkirche St. Nikolai hatte sich in Anlehnung an eine Initiative des damals noch in Dresden wirkenden Pfarrers Christoph Wonneberger das sog. „Friedensgebet“ als regelmäßige Plattform ehemaliger „Bausoldaten“ und kritischer Jugendlicher herausgebildet. Dieses montägliche Gebet war bereits seit 1985 von der Staatssicherheit als Hort der Konterrevolution eingestuft worden und stand unter ständiger Beobachtung. Im Zuge der Auseinandersetzungen um die Berliner Liebknecht-Luxemburg-Demonstration am 17. Januar 1988 und der anschließenden Verhaftungen und auch im Zusammenhang mit der immer stärker werdenden „Ausreisebewegung“ entwickelte sich das Friedensgebet zum Sammelbecken von Menschen, auch solchen ohne kirchliche Bindung, die dem Staat und seiner Politik gegenüber kritisch eingestellt waren.

Der jetzt in Leipzig tätige Wonneberger vernetzte nunmehr verschiedene seit Anfang der 80er Jahre tätige Basisgruppen miteinander und zog sich damit auch seitens der Kirchenleitung Kritik zu. Diese hatte sich zum Teil im Rahmen der offiziellen Kirchenpolitik gegenüber den SED-Machthabern verpflichtet, als Kirche im Sozialismus und nicht gegen den Sozialismus zu wirken. Dazu kam, dass viele Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter als inoffizielle Mitarbeiter (IMs) des Staatssicherheitsdienstes tätig waren und alle oppositionellen Aktivitäten sofort meldeten. Seit den Berliner Verhaftungen fanden in Leipzig Fürbittandachten und Gedenkgottesdienste in verschiedenen Kirchengemeinden statt.

Abb.: Montagsdemonstration, Leipzig, 16. Oktober 1989 (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0922-002 / Friedrich Gahlbeck / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE)

Am 15. Januar 1989 plante die „Initiative zur demokratischen Erneuerung“ anlässlich des 70. Jahrestags der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg eine eigene Gedenkdemonstration. Aus diesem Anlass wurden Flugblätter mit aktuellen Forderungen in Hausbriefkästen verteilt. Bereits einen Tag später verhaftete die Stasi die Flugblattverteiler. Die Demonstration fand dennoch statt, wenn auch nur mit ca. 500 Teilnehmern, und stellte gewissermaßen die Initialzündung für die Ereigniskette des Jahres 1989 dar. Nach der durch die Bundesrepublik erwirkten Freilassung der Aktivisten schlossen sich die unterschiedlichen Gruppen anlässlich der Überprüfung der Kommunalwahl am 7. Mai 1989 enger zusammen. Die republikweite Aufdeckung der Wahlfälschungen durch die SED rief flächendeckende Proteste hervor, führte aber noch nicht zu Massenaktionen.

Erst die im Sommer einsetzende Massenflucht von DDR-Bürgern über „sozialistische Bruderstaaten“ einerseits und andererseits die Tatsache, dass die Staatsführung sich allen Forderungen nach Reformen verschloss, führten zum Entstehen eines alle Bevölkerungsschichten umfassenden Protestpotenzials. Am 4. September nutzen Basisgruppenmitglieder die wegen der Leipziger Herbstmesse anwesenden Kameras des ZDF und entrollten auf dem Nikolaikirchhof drei Transparente mit politischen Forderungen. Nicht zuletzt die am Abend ausgestrahlten Fernsehbilder, die die zivilen Stasigreifer ebenso dokumentierte wie die Rufe sowohl der bleibewilligen Demonstranten als auch der Ausreisewilligen, bewirkten, dass sich die Anzahl der „Montagsdemonstranten“ wöchentlich verdoppelte.

Abb.: Erstürmung der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße, Ost-Berlin, am 15. Januar 1990 (© Robert Havemann-Gesellschaft/Siegbert Schefke/ RHG_Fo_SiSch_02_094-20)

Die am 30. September endlich erreichte Ausreise der ersten 5.000 Prager Botschaftsbesetzer und deren zweimalige Reise in verschlossenen Zügen durch die DDR heizte das täglich anwachsende Protestpotenzial im Lande weiter an. Nach Straßenschlachten vor dem Dresdner Hauptbahnhof am 4. Oktober kam es in Berlin am 7. Oktober zu Massenprotesten vor dem Palast der Republik, wo gerade der 40. Jahrestag der DDR offiziell gefeiert wurde. Die Forderungen der Demonstranten wurden mit Polizeiterror beantwortet. In Leipzig, Plauen und andernorts kam es zu Verhaftungen im großen Stil und mit neuer Qualität. In Leipzig wurden die Festgenommenen in vorher vorbereitete Pferdeställe gebracht. Der nächste Montag, der 9. Oktober 1989, sollte nun zum Tag der Entscheidung werden. Nach den Worten Honeckers war mit der Konterrevolution auf Leipzigs Straßen ein für allemal Schluss zu machen. Zu diesem Zweck waren 8.000 Bewaffnete zusammengezogen worden, die mit maximal 5.000 Demonstranten rechneten. Dieses letzte Gewaltszenarium der SED-Herrscher scheiterte jedoch an der enormen Friedfertigkeit der tatsächlich erschienenen 70.000 Demonstranten. Das System implodierte. Nach vier weiteren Demonstrationswochen überschlugen sich schließlich am Abend des 9. November, des Schicksalstages der Deutschen, die Ereignisse. Mit der Öffnung bzw. dem Fall der Mauer war das wohl wesentlichste Ziel der Friedlichen Revolution in der DDR erreicht. Weniger als ein Jahr später war dann auch die Vereinigung beider Teile Deutschlands vollzogen.

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Quelle: Deutsche Wochenschau Filmarchiv
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