Rita Schorpp/KAS e.V.

Einkommen und Einkauf, Konsum und Versorgungslage

Typisch für den Einzelhandel in der DDR war ein Nebeneinander von hochsubventionierten Waren des Grundbedarfs einerseits und überteuerten „Luxusgütern“ andererseits. Eine bescheidene Grundversorgung war gesichert. Das darüber hinausgehende Angebot, besonders an modernen, „hochwertigen“ Waren, „befriedigte“ die Nachfrage zunehmend weniger.

Wer sich an Bilder aus der DDR erinnert, dürfte immer auch Menschenschlangen vor Geschäften jeder Art vor Augen haben. Zwanzig, dreißig Leute, die am Samstagmorgen nach Bäckerbrötchen anstanden, waren ebenso normal wie die Tatsache, dass diese meist nach einer halben Stunde ausverkauft waren. „Sozialistische Wartegemeinschaften“ wuchsen schon früh um sechs vor „Baustoffversorgungen“, wenn Zement geliefert werden sollte, oder vor RFT-Fachgeschäften (Rundfunk-Fernseh-Technik), wenn es Gerüchte gab, dass eine Lieferung Farbfernseher erwartet werde. Es bildeten sich nicht nur in der Weihnachtszeit Schlangen von teilweise fünfzig und mehr Metern, wenn Apfelsinen oder Bananen verkauft wurden; sondern vor jeder Fleischerei, jedem Jugendmodegeschäft, jedem Schallplattenladen, jedem Autoersatzteillager warteten disziplinierte Schlangen, sobald etwa Schinkenspeck, begehrte Jeans, Lizenzschallplatten oder Auspuffanlagen kurzzeitig ins Angebot kamen.

Abb.: HO-Einkaufszentrum in Salzwedel (1990, © Hajotthu aus der deutschsprachigen Wikipedia / CC BY-SA)

Der seit 1956 unternommene Versuch eines Katalog-Versandhandels wurde in den 70er Jahren wieder eingestellt: Zu groß war der Unmut über die regelmäßig nicht verfügbaren Waren.

Grundsätzlich war das Angebot in der Provinz deutlich schlechter als in Berlin, dem „Schaufenster der Republik“. Deshalb fuhr man, wann immer man Gelegenheit hatte, in die Hauptstadt, oft auch mit Bestellzetteln von Nachbarn oder Kollegen versehen, und brachte von Paprika bis Räucherfisch, von Bettwäsche bis Fliesen alles mit, was zuvor überproportional nach Berlin geflossen war.

Gaststätten, besonders in Urlaubsregionen, wehrten sich mit Schildern „Sie werden platziert“ gegen den mittäglichen wie abendlichen Ansturm und sorgten immer wieder für wachsenden Frust – zumal jeder wusste, dass an Tischen mit Reserviert-Schildchen (die bisweilen die Hälfte des Platzangebotes ausmachten) nicht bedient wurde. Köche und Kellner waren am Umsatz kaum beteiligt und die Gäste nichts als Bittsteller um Speis und Trank. Einige verewigten sich wie ein Herr Lange aus Neustrelitz im ausliegenden Gästebuch „125 Minuten warten auf das Essen plus zehn Minuten essen gleich zwei Stunden und 15 Minuten … Bravo, machen Sie weiter so. Ich werde Sie bestens empfehlen.“ (Doch wehe, einem platzte der Kragen, bevor der Teller mit Schnitzel und „Sättigungsbeilage“ oder eines der wenigen sonstigen Gerichte vor ihm stand. Der durfte warten, bis ihm die Lust verging.)

Seit den 1950er Jahren musste in der DDR niemand hungern. Das Einkommen war so bemessen, dass es für eine – bei Rentnern allerdings oft sehr eingeschränkte – Grundversorgung reichte. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen „Werktätiger“ betrug 1953: 378 Mark, 1971: 785 Mark, 1989: 1.322 Mark im Monat. Die durchschnittliche monatliche Altersrente (nach Erreichen der Pflichtbeitragsjahre für Frauen ab 60 und Männer ab 65) betrug 1953: 94 Mark, 1971: 210 Mark, 1989: 555 Mark.

Miete, Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel waren stark subventioniert. Allein die staatliche Stützung für Lebensmittel betrug 1971: 5,5 Milliarden, 1988: 32 Milliarden Mark.

Abb.: Schlange vor einer Fleischerei in Ost-Berlin (© Bundesstiftung Aufarbeitung, Ostkreuz, Harald Hauswald, Bild 890304hh03 )

Die Regulierung von Angebot und Nachfrage über den Preis widersprach dem sozialistischen Prinzip einheitlicher Verbraucherpreise (EVP). Und so galt über Jahrzehnte ein Festpreis, z. B. für das Brötchen (50 g) von fünf Pfennig (100 g zehn Pfennig). Ein Drei-Pfund-Brot kostete 78 Pfennige (Mischbrot 93 Pfennig), egal, ob es aus dem industriell arbeitenden Backkombinat oder vom Bäcker kam. Man kaufte überreichlich, auch als billiges Zufutter für die private Hühner-, Kaninchen- und Schweinehaltung.

Während Milch, Kartoffeln, Fisch, Obst und Gemüse deutlich subventioniert wurden, deckte der Preis für „gehobenere“ Lebensmitteln in etwa den Herstellungsaufwand. 250 g Butter kosteten beispielsweise 2,40 Mark, 1 kg Schnitzelfleisch zehn Mark. Für alltägliche Bedarfsgüter (Bekleidung, Haushaltwaren, einfache Möbel, Werkzeuge, Spielwaren, Ersatzteile …) wurden überwiegend realistische Verkaufspreise festgesetzt. Drastisch überteuert waren dagegen importabhängige Erzeugnisse (100 g Schokolade ab 2,80 Mark, 125 g Bohnenkaffee 7,50–10 Mark).

Die weltweite Kaffeekrise 1977 führte zu einer Versorgungskrise bei dem DDR-Nationalgetränk. Als die SED-Führung mit „Silber-Mix“ und „Gold-Mix“ (50 g 3,50 Mark) ein Surrogat aus 50 Prozent Bohnenkaffee, Malzkaffee, Zichorie und Spelzen als Streckmittel in die Schaufenster stellen ließ, stand das Land kurz vor einem Volksaufstand. Beim Kaffee hörte die Verzichtsbereitschaft des DDR-Bürgers auf. „Erichs Krönung“ verschwand aus den Läden, die SED-Führung war gezwungen, statt bisher 150 Millionen fast 700 Millionen D-Mark für Kaffeeimporte auszugeben.

Bei modischen Textilien und elektronischen Geräten hinkte die DDR westlichen Trends um Jahre, im Automobilbau sogar um Jahrzehnte hinterher. Kaschiert wurde das wirtschaftliche Unvermögen durch stark überteuerte Preise für „Luxusgüter“. So kosteten Farbfernseher zwischen 3.500 Mark (sowjetischer Import, ausschließlich SECAM, d. h. nur DDR-Sender in Farbe) und 6.800 Mark. Beim PKW Wartburg, seit Mitte der 1960er Jahre in seiner äußeren Gestalt kaum verändert, stieg der Preis von anfänglichen rund 17.000 auf rund 27.000 Mark. Über den Preis wurde im Segment der „Luxusgüter“ die Nachfrage gedämpft und zugleich Kaufkraft abgeschöpft.

Dem Bedürfnis nach Lebensmitteln und Bekleidung von höherer Qualität (und zudem in einer zum Kauf animierenden Verpackung) trug ein Politbürobeschluss von 1977 Rechnung. In allen größeren Städten entstanden Delikat- und Exquisit-Läden. Damit konnte nunmehr jeder Waren u. a. aus sog. Gestattungsproduktionen erwerben (die – wie „Trumpf“-Schokolade oder „Salamander“-Schuhe – in der DDR als einem Billiglohnland für westliche Unternehmen hergestellt wurden). In geringem Umfang wurden in diesen Läden auch Importwaren angeboten. Die Preise allerdings waren ebenso delikat wie exquisit. So kostete eine Tafel Schokolade (100 g) in Westqualität ab fünf Mark, eine Büchse Ananasscheiben (750 ml) 18 Mark, eine Flasche italienischer Perlwein 15 Mark. Ein Rundstrickkleid aus dem Exportprogramm durfte man für ca. 250 Mark und ein modisches Hemd für etwa 120 Mark sein Eigen nennen.

Mit der Novellierung des Devisengesetzes 1974, durch die DDR-Bürgern der Besitz von Westwährungen erlaubt wurde, entstand eine Zweiklassenkonsumgesellschaft. Wer über Valuta verfügte, konnte ebenso wie westliche Besucher in – zuletzt selbst in kleinen Städten anzutreffenden – „Intershops“ zollfreie Westwaren einkaufen. Das Sortiment ließ kaum Wünsche offen – von Goldschmuck über westliche Elektronikartikel und Textilien bis zu Genussmitteln gab es fast alles. Der Schwarzmarktkurs der D-Mark stieg auf 1:10 und höher. Wer nicht reisen durfte, erfüllte sich seinen Traum vom Westen durch Ausflüge in die duftende, glitzernde Welt der Intershops. Deren Umsatz stieg von 286 Millionen Valuta-Mark 1974 auf 1,162 Milliarden Valuta-Mark 1989 und bildete bei allen ideologischen Vorbehalten eine unverzichtbare Devisenquelle für den SED-Staat.Als ähnlich lukrativ erwies sich der Genex-Geschenkdienst, über den Westbürger (aber auch DDR-Künstler u. a., denen die Staatsbank der DDR Teile ihrer im Westen erworbenen Einkünfte in Devisen auszahlte) schwer erhältliche DDR- oder Westprodukte von der Kühltruhe über den PKW Trabant (DDR-Wartezeit zehn Jahre) bis zum Eigenheim für DDR-Bürger kaufen konnten. Der von 1956 bis 1989 erzielte Genex-Umsatz betrug 3,3 Milliarden D-Mark.

Quellennachweis

  • Rundbrief des Vereins zur Dokumentation der DDR-Alltagskultur, Nummer 10, August 2000, S. 25;
  • Klaus Schroeder, Der SED-Staat, München 1998, S. 521, 526;
  • Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur, Berlin 1998, S. 76.