Deutschland muss sich stärker für eine europäische Energiewende einsetzen

Über die Relevanz der Rolle Deutschlands in der EU-Energiepolitik ist sich Silvia Brugger sicher. Warum Deutschland sich ihrer Meinung nach proaktiv für eine europäische Energiewende einsetzen sollte, erklärt die Referentin des Klima- und Energieprogramms des Brüsseler EU-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in ihrem Textbeitrag.
 
Der Klimawandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Deutschland hat mit der Energiewende eine globale und europäische Vorreiterrolle eingenommen. Durch den Einsatz für eine europäische Energiewende könnte Deutschland die globalen Bemühungen zum Klimaschutz beflügeln.
 
Deutschland scheint bislang darauf zu warten, dass andere Länder unserem Vorbild automatisch folgen werden, sobald sich mit der Energiewende ein Erfolg einstellt. Nun hängt der Erfolg der deutschen Energiewende aber maßgeblich von Entwicklungen in Nachbarländern und auf EU-Ebene ab. Bislang beschränkt sich Deutschland vor allem auf die punktuelle Abwehr von Maßnahmen aus „Brüssel", die die deutsche Energiewende bedrohen. Anstelle einer solch defensiven Strategie sollte Deutschland sich vielmehr proaktiv für eine europäische Energiewende einsetzen.
 
Welchen Einfluss aber hat die EU auf die deutsche Energiewende und warum sollte eine europäische Energiewende im nationalen Eigeninteresse liegen? Eine Grundmotivation für die Umstellung des Energiesystems ist die Sorge um den Klimawandel und das Ziel der Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen. Die europäische Klimapolitik mit dem europaweiten Handel von Verschmutzungsrechten übt großen Einfluss darauf aus, ob Deutschland sein Klimaziel erreichen kann. Aktuell steigen die Emissionen in Deutschland, da aufgrund des Preisverfalls beim Emissionshandel die Erzeugung von Kohlestrom zu billig wird und Innovationsanreize fehlen. Sollte es nicht gelingen, das EU-Emissionshandelssystem zu stärken, läuft die Energiewende Gefahr ihr Klimaziel zu verfehlen. Der gestiegene Kohlendioxidausstoß hat bereits jetzt dramatische Auswirkungen auf den Vorbildcharakter der Energiewende.
 
Aktuell diskutiert Europa die klima- und energiepolitische Zielrichtung bis zum Jahr 2030.Der Erfolg der deutschen Energiewende wird maßgeblich davon abhängen, dass die EU ehrgeizige und national verbindliche Ziele für den Klimaschutz, den Ausbau von Erneuerbaren Energien und die Steigerung von Energieeffizienz beschließt. Gleiche Wettbewerbsbedingungen im EU-Energiebinnenmarkt und eine Einbettung der Energiewende in die europäische Infrastruktur sind zentral für einen kosteneffizienten Umbau des deutschen Energiesystems.
 
Die Tendenz einer Re-Nationalisierung der Energiepolitik kann nicht im Interesse der deutschen Energiewende liegen. Sollte die EU ihr Bekenntnis zu Erneuerbaren zu Gunsten einer sogenannten technologieneutralen Klimapolitik aufgeben, hätte dies auch gravierende Folgen für die Förderung des Erneuerbaren-Anteils im deutschen Energiemix. Es könnte dann vielmehr eine Politik etabliert werden, die Atomkraft als „klimafreundliche" Energiequelle vorantreibt und die Förderung von Erneuerbaren abbremst. Zudem würde eine Schwächung der europäischen Klima- und Energiepolitik dazu führen, dass es für Deutschland immer schwieriger werden würde, die Energiewende im Alleingang gegenüber kritischen Stimmen im In- und Ausland zu verteidigen.
 
Es wird also deutlich, dass die deutsche Energiewende nur gelingen wird, wenn sie auch europäisch verankert wird. Für was kann und für was sollte nun die deutsche Bundesregierung auf europäischer Ebene eintreten, um der Energiewende zu einem Erfolg zu verhelfen?
 

Deutschland kann Vorreiter sein – wenn wir wollen

Zunächst einmal stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten und der Praxis der politischen Einflussnahme Deutschlands für eine ambitionierte Klima- und Energiepolitik auf europäischer Ebene. Bislang glänzte Deutschland meist durch Abwesenheit, wenn es um die Durchsetzung eines ehrgeizigen Klima- und Energiepakets für 2030 geht. Dagegen hat etwa Großbritannien sehr erfolgreich europaweite Unterstützung für eine atomfreundliche, technologieneutrale Klimapolitik generiert.
 
Nun könnte man meinen, Deutschland habe vielleicht weniger Möglichkeiten als Großbritannien, um Entscheidungen der EU im eigenen Sinne zu beeinflussen. An folgenden Beispielen sieht man jedoch sehr deutlich, wie entschlossen Deutschland in Brüssel auftreten kann, wenn die nationalen (Industrie-)Interessen bedroht sind: Im Oktober 2013 stoppte die „Autokanzlerin" Merkel eine eigentlich bereits erzielte europaweite Einigung für strengere CO2-Grenzwerte für Autos. Und aktuell setzt sich die deutsche Bundesregierung mit Nachdruck dafür ein, die großzügigen Privilegien im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für die heimische Industrie nicht wegen europäischem Wettbewerbsrecht zu stark beschneiden zu müssen. Gerüchten zufolge könnte es selbst zu einem Kompromiss kommen, wonach Brüssel weiterhin Industrie-Ausnahmen erlaubt und Deutschland dafür schwache 2030-Ziele akzeptiert.
 

Ein Konsens scheint unrealistisch, enge Zusammenarbeit ist deshalb nötiger denn je

Dagegen könnte Deutschland mit dem entsprechenden politischen Willen durchaus eine europäische Flankierung der deutschen Energiewende vorantreiben, die letztlich das Ziel einer europäischen Energiewende verfolgt. Ansatzpunkte ergeben sich auf der einen Seite durch eine aktive Einflussnahme auf Initiativen aus Brüssel. Hoch auf der Agenda stehen sollte dabei die Stärkung des Emissionshandelssystems und die Entscheidung für ambitionierte Klima- und Energieziele bis 2030. Des Weiteren sollte Deutschland für eine europaweite Verankerung des Erfolgsmodells der Bürgerenergie in einem bürgerfreundlichen Beihilfesystem werben sowie die Entwicklung eines Erneuerbaren-basierten Strommarktdesigns und Energieinfrastruktursystems vorantreiben. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es auf absehbare Zeit keinen Konsens der 28 Mitgliedstaaten für einen europaweiten Atomausstieg geben wird, sollten auf der anderen Seite Möglichkeiten grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf regionaler Ebene genutzt werden, um Energiewende-Vorreiterregionen miteinander zu verbinden und zu stärken. Deutschland könnte auf diese Weise die EU-Klimavorreiterrolle stärken und dadurch einen entscheidenden Beitrag zum internationalen Klimaprozess im Vorfeld des Klimagipfels in Paris 2015 leisten.
 
 
Autor: Silvia Brugger