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Beim Verständnis fängt es an
Fragen der Umverteilung von Wohlstand ins Zentrum der Europapolitik gerückt
Die Probleme Europas sind Probleme der Umverteilung
Im Nachgang der europäischen Finanz- und Staatsschuldenkrise wurden alte Forderungen nach neuen Transferunionen wieder aufgekocht. Unter dem Stichwort „Wirtschafts- und Sozialunion" werden gegenwärtig Blaupausen für eine europäische Arbeitslosenversicherung, eine europäische Einlagensicherung oder ein europäisches Finanzministerium mit eigener Budget- und Steuerverantwortung von der europäischen Kommission und den entsprechenden Ministerien in den Mitgliedsländern erarbeitet und ernsthaft politisch diskutiert.
Unterdessen werden die mehrfach flexibilisierten Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes von der Europäischen Kommission nach wie vor nicht konsequent durchgesetzt. In Schieflage geratene, von der Politik als „systemrelevant" befundene Banken können unverändert im Falle einer drohenden Insolvenz mit dem Geld der Steuerzahler rechnen.
Die EU muss in erster Linie ein Freihandels- und Freibewegungsprojekt sein
Man muss kein Experte für Wirtschaftspolitik sein, um zu verstehen, dass die Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu verlassen, eine Entscheidung gegen eine Europäische Union war, die immer mehr „Umverteilungskompetenzen" bewirtschaftet. Neben den oben genannten Problemfeldern betrifft dies auch die gemeinsame Agrarpolitik und die europäische Entwicklungspolitik. Der gemeinsame Nenner dieser im Kern doch recht unterschiedlichen Politikfelder bildet die Tatsache, dass sehr viele Bürger in Großbritannien und den meisten anderen Ländern der EU die Wahrnehmung haben, ihre (nationalen) Interessen würden in Brüssel systematisch ausverkauft.
Das Prinzip der Eigenverantwortung wird durch bestehende und neue Umverteilungsinstrumente unterminiert. Durch die anhaltende Nichtbeachtung der fiskalischen Regeln schwindet zudem das Vertrauen der Bürger in den europäischen Rechtsstaat. Populistische Bewegungen, die sich im Kern gegen die Verlagerung von Umverteilungskompetenzen nach Brüssel richten, stellen häufig auch die europäischen Grundfreiheiten für Bürger, Arbeitnehmer und Unternehmen ernsthaft in Frage wie das Beispiel Großbritanniens nach dem Brexit zeigt. Eine zukunftsorientierte Europäische Union bedarf einer grundlegenden Reform, in welcher das Verhältnis zwischen Subsidiarität und Solidarität im ehrlichen Augenschein auf die jüngsten politischen Entwicklungen in Europa neu bewertet und festgeschrieben werden muss.
Der Kern der Europäischen Union ist der europäische Binnenmarkt. Diesen gilt es voranzutreiben, insbesondere im Bereich des Dienstleistungshandels und der grenzüberschreitenden Anerkennung von Berufsqualifikationen. Von einer Wirtschaftsunion, in der die Umverteilungskompetenzen weit über Solidaritätsinstrumente, etwa die europäischen Strukturfonds, hinausgehen würden, muss abgesehen werden.
Die ideengeschichtlichen Grundpfeiler für diese Art der europäischen Integration wurden in der Nachkriegszeit maßgeblich durch die Denkrichtung des Ordoliberalisums geprägt. Sowohl das Prinzip der „offenen Märkte" als auch das der „Sicherstellung einer funktionierenden Wettbewerbsordnung" fanden nach 1957 erfolgreich Eingang in europäisches Recht. Der noch unvollendete europäische Binnenmarkt, die gemeinsame Handelspolitik und die europäische Wettbewerbspolitik sind heute diejenigen Politikfelder, die unter Ökonomen nur wenig umstritten sind und vor allem auch von Seiten der Politik – parteiübergreifend – gewürdigt werden. Daran muss festgehalten und angeknüpft werden.
