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Gehen Klima- und Energiepolitik künftig getrennte Wege?

Inwieweit die Klimapolitik in Zukunft noch Einfluss auf die Energiepolitik haben wird und warum die Förderung erneuerbarer Energien seiner Meinung nach zukünftig stärker in einem europäischen Rahmen erfolgen sollte, erörtert der Wirtschaftswissenschaftler Jan Voßwinkel in seinem Textbeitrag.
 
Die Energiepolitik der Europäischen Union wurde in den letzten Jahren maßgeblich durch die Klimaschutzpolitik geprägt. Derzeit ist fraglich, ob die Klimaschutzpolitik zukünftig noch im gleichen Maße prägend für die Energiepolitik sein wird.
 
Hierfür sind insbesondere zwei Faktoren maßgeblich:
  • die aktuell sehr heterogene ökonomische Ausgangssituation der Mitgliedstaaten und u. a. dadurch bedingte divergierende wirtschaftspolitische Prioritätensetzung,
  • der Befund, dass ein weltweiter Klimaschutzkonsens derzeit nicht absehbar ist.
Entscheidend für das Verständnis der EU-Energiepolitik ist ein Einblick in die Kompetenzen der EU und der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet.
 

Kompetenzgrundlage

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union legt fest, dass es das Ziel der EU ist, die Energieversorgungssicherheit in der Union zu gewährleisten, Energieeffizienz und Energieeinsparungen sowie die Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen zu fördern. Der Vertrag legt aber auch fest, dass Maßnahmen, die der Umsetzung dieser Ziele dienen, „nicht das Recht eines Mitgliedstaats [berühren], die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen". Weite Teile der Energiepolitik, insbesondere die Frage des Energiemixes, obliegen also den Mitgliedstaaten. Die Ausrichtung der Energiepolitik der Mitgliedstaaten ist nicht einheitlich. Deutschland verfolgt im Rahmen der „Energiewende" den Ausstieg aus der Atomenergie und gleichzeitig einen raschen Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien sowie eine angestrebte verringerte Nutzung fossiler Energieträger. Einige Mitgliedstaaten wollen die Kernkraft auch zukünftig nutzen und/oder sind auf absehbare Zeit auch auf die Nutzung fossiler Energieträger angewiesen.
 

2020-Ziele, 2030-Ziele und Instrumentenmix

Die EU verfolgt das Ziel, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gegenüber der Zeit vor der Industrialisierung auf höchstens 2°C zu begrenzen („2°C-Ziel"). Die Europäische Kommission ist der Auffassung, dass es hierzu erforderlich ist, den Treibhausgasausstoß der EU bis 2050 um 80-95 Prozent gegenüber 1990 senken. Der Europäische Rat beschloss im Jahr 2007 u. a. diese „20-20-20-Ziele" für das Jahr 2020:
 
  • Reduktion der Treibhausgasemissionen um 20 Prozent gegenüber dem Bezugsjahr 1990
  • Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch auf 20 Prozent
  • Verringerung des Energieverbrauchs um 20 Prozent gegenüber dem für das Jahr 2020 prognostizierten Wert.
 
Diese und die im AEUV festgelegten Ziele waren die Grundlage für zahlreiche EU-Rechtsakte und daraus hervorgegangener Instrumente. So etwa der EU-Emissionsrechtehandel, die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (die die Mitgliedstaaten bis 2020 zur Erfüllung landesspezifischer Ausbauziele verpflichtet), das „Ökodesign" (diese Richtlinie ist die Grundlage für das „Glühbirnenverbot"), die Energieeffizienzrichtlinie, die Kraftstoffqualitätsrichtlinie (sie legt z. B. fest, dass die Treibhausgasintensität von Kraftstoffen bis 2020 in einem bestimmten Ausmaß sinken muss) u. v. m.
 
Da das Jahr 2020 näher rückt, findet derzeit eine Diskussion um neue Zwischenziele für das Jahr 2030 statt. Die Europäische Kommission legte im März 2013 ein Grünbuch mit dem Titel „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030" vor, auf dessen Grundlage die interessierte Öffentlichkeit aufgefordert wurde, sich im Rahmen einer Konsultation zu diesem Themenkomplex zu äußern. Im Januar 014 veröffentlichte die Europäische Kommission die Ergebnisse dieser öffentlichen Konsultation [COM(2014) 5].
 
Die Europäische Kommission regt mit Blick auf den Zeitraum 2020-2030 an, nicht mehr drei Ziele (Treibhaushausgasemissionen, erneuerbare Energien und Energieeinsparungen) zu verfolgen, sondern die Reduktion von Treibhausgasemissionen in den Fokus zu stellen. Hierbei strebt sie eine Minderung um 40 Prozent gegenüber dem Bezugsjahr 1990 an. Der Anteil erneuerbarer Energien soll nach ihren Vorstellungen im Jahr 2030 bei mindestens 27 Prozent liegen, allerdings folgen daraus keine konkreten Vorgaben an die Mitgliedstaaten, durch eigene Maßnahmen (anteilig) zu diesem Ziel beizutragen. Die Frage nach einem neuen Ziel für Energieeinsparungen hat die Europäische Kommission vorerst vertagt. Sie möchte dieses Thema zu „einem späteren Termin im Jahr 2014" untersuchen.
 

Globale Situation

Klimaschutz kann nur gelingen, wenn weltweit Treibhausgase eingespart werden. Auch nach Auffassung der Europäischen Kommission kommen derzeit weniger als 11 Prozent der weltweiten Treibhausgasmissionen aus der EU. Dieser Wert wird sich bis 2020 auf 9 Prozent verringern. Eine einseitige Klimaschutzpolitik der EU bleibt ohne nennenswerten Effekt auf das Weltklima. Die Verringerung von Treibhausgasemissionen geht allerdings mit Kosten einher. Bislang ist die Europäische Kommission in ihren langfristigen klimaschutz- und energiepolitischen Szenarien bis zum Jahr 2050 [KOM(2011) 12 und KOM(2011) 85] davon ausgegangen, dass ein weltweites Klimaschutzabkommen zustande kommen wird. Derzeit ist ein weltweiter Konsens über eine abgestimmte und anspruchsvolle Klimaschutzpolitik aber nicht zu erkennen. Fraglich ist daher, welche Ziele die EU ohne einen globalen Klimaschutzkonsens verfolgen sollte. EU und Mitgliedstaaten sollten sich daher der Begrenztheit des klimapolitischen Erfolges ihrer Handlungen bewusst sein und vor diesem Hintergrund hinterfragen, welche Kosten sie für einen einseitigen Klimaschutz aufwenden wollen. Diese Debatte steht immer noch aus.
 

Ausblick

Sofern man davon ausgeht, dass Treibhausgasemissionen das wesentliche ökologische Problem der Energieversorgung darstellen, und sofern man auch eine zumindest vorübergehend einseitige Klimaschutzpolitik bejaht, ist es sachgerecht, als Zielsetzung auch vorrangig die Reduktion von Treibhausgasemissionen in den Mittelpunkt zu stellen. Energieeinsparungen und der Ausbau erneuerbarer Energien können dann Folgen einer Politik sein, die die Senkung von Treibhausgasemissionen anstrebt.
 
Um das Funktionieren des Energiebinnenmarktes nicht zu gefährden, sollte die Förderung erneuerbarer Energien zukünftig stärker in einem europäischen Rahmen erfolgen. Dies gilt grundsätzlich auch für die Unterstützung anderer Formen der Energiegewinnung. Um keine Dauersubventionstatbestände zu schaffen, sollte die gesonderte Förderung erneuerbarer Energien auf ihr Auslaufen ausgerichtet sein. Derzeit wird diskutiert, in welchem Ausmaß die Europäische Union den Mitgliedschaften beihilferechtliche Vorschriften über die Förderung erneuerbarer Energien machen darf. Die juristische und politische Klärung dieser Frage steht noch aus.
 
 
Autor: Jan Voßwinkel ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen. Zuvor war er Wissenschaftlicher Berater für Umwelt, Energie, Klimaschutz und Verkehr am Centrum für Europäische Politik.