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- Die europäische Klima-und Energiepolitik
Seit Jahrzehnten ist Europa führend in Sachen Klimaschutz, hat Innovationen vorangetrieben und Energie- und Verkehrsbinnenmärkte aufgebaut. Sowohl die unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten, wie auch der globale Kontext stellen aber die europäische Politikgestaltung vor Herausforderungen. Einerseits muss eine effiziente Klimapolitik möglichst gemeinsam und kohärent auf EU-Ebene vorangetrieben werden, auf der anderen Seite wollen Mitgliedstaaten ihre Kompetenz im Bereich des eigenen Energiemixes erhalten. Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU zeugt von dem Balanceakt zwischen Vergemeinschaftung und nationaler Kompetenz. Gleichzeitig darf man die globalen Entwicklungen, insbesondere unserer größten Handelspartner in Nordamerika oder Asien, nicht außer Acht lassen. Wenn europäische Klima- und Energievorgaben Mehrkosten und -aufwand für unsere Industrie verursachen, werden sie im internationalen Wettbewerb auch zu einer Belastung. Schnell werden rechtliche Vorgaben zu wirtschaftlichen Standortfaktoren.
Treffen politische Akteure in Brüssel daher die richtige Balance zwischen Klimaschutz und Industriepolitik? Oder wird Energiepolitik zu sehr auf Klimapolitik reduziert? Ein kurzer Ein- und Ausblick in die derzeit laufende Neugestaltung des EU-Klimaregimes:
2014 wurde auf EU-Ebene festgelegt, Treibhausgase bis 2020 um 20% zu senken, den Anteil erneuerbarer Energien auf 20% zu heben und die Energieeffizienz um 20% zu steigern. Dabei ist nur das Ziel der CO2-Senkung verpflichtend. Bis 2030 muss CO2 um 40% gesenkt werden. Auf globaler Ebene wird der Rahmen für die Klimapolitik durch das neueste Klimaabkommen von Paris gesteckt. Die Reform der EU-Klimapolitik setzt jetzt EU-Klimaziele wie auch die Pariser Vereinbarungen um.
Hauptinstrument der europäischen Klimapolitik ist der Emissionshandel, der nach 2020 in die vierte Handelsperiode gehen wird und knapp 50% der Emissionen abdeckt. Der Vorschlag der EU-Kommission für die Neugestaltung nach 2020 wurde bereits im Juli 2015 vorgelegt und seitdem intensiv in den Institutionen diskutiert. Die Idee des Emissionshandels ist so simpel wie genial. Prinzipiell muss für Emissionen mit Zertifikaten bezahlt werden. Die jeweils 10% besten Industrieanlagen in einem Sektor bekommen genügend Zertifikate zugeteilt, um ihre Ausgaben zu decken. Sie legen den Grenzwert oder die Benchmark für ihren Industriezweig fest. Das bedeutet, wer zu den saubersten und innovativsten Herstellern in Europa gehört, dem entstehen in der Theorie keine Mehrkosten. Alle anderen Anlagen dieses Sektors bekommen die gleiche Menge an Zertifikaten, die allerdings nicht für ihre Produktionen ausreicht. Sie sind verpflichtet weitere Zertifikate zuzukaufen. Jedes Industrieunternehmen muss abwägen, ob es die Mehrkosten für die Zertifikate in Kauf nimmt oder investiert, um die Marktführer in Sachen sauberer und energieeffizienter Produktion einzuholen oder sogar zu überholen. Dieser marktorientierte Ansatz führt in der Theorie zu einem kostengünstigen, effizienten Klimaschutz.
Allerdings sind sich die Beteiligten seit Einführung des Handels einig, dass die richtige Funktionsweise noch nicht vollständig erreicht wurde.
Erstens kosten Zertifikate auf dem Markt so wenig, dass die Anreizwirkung nur gering und eher längerfristig sein kann. Andererseits wurde bei der Festlegung der Produktionsbenchmarks nicht immer der tatsächliche Bedarf an Zertifikaten realistisch abgedeckt. Einige Industriezweige erhalten mehr Zertifikate als sie in Wahrheit für die Produktion benötigen, andere klagen bereits jetzt, dass der von der Kommission festgelegte Grenzwert physikalisch gar nicht mehr zu erreichen ist. Für die Reform nach 2020 dringen insbesondere linke und grüne Parteien darauf, die Anzahl der Zertifikate stärker zu verringern, um den Zertifikatspreis zu erhöhen und dadurch den Druck zum Investieren zu erhöhen.
Aber viele Akteure machen es sich an dieser Stelle zu einfach und vernachlässigen die globale Perspektive. Es wird beschworen, dass die Gefahr der Produktionsverlagerung auf Standorte außerhalb der EU (Carbon Leakage) quasi inexistent sei. Eine Verringerung des CO2-Ausstoßes durch Abwanderung in andere Länder mit geringeren Umweltauflagen kann aber in niemandes Interesse sein.
Auch in den neuesten Folgenabschätzungen des aktuellen Gesetzvorschlags zum Emissionshandelssystem wird das Problem der Produktionsverlagerung nur unzureichend beleuchtet. Unternehmen werden nicht plötzlich kollektiv in der EU schließen, um in Asien wieder zu eröffnen. Vielmehr beobachten Experten eine schleichende Investitionsverlagerung, wenn Konzernleitungen die nächste große Investition lieber in den amerikanischen oder asiatischen Zweig des Unternehmens stecken. Dies geschieht nicht nur, aber auch aufgrund der EU-Klimavorgaben und der derzeit einhergehenden Unsicherheit, wie es damit nach 2020 weitergeht. Die Kommission scheint aber gerade diesem, zugegebenermaßen schwierigen, Aspekt zu wenig Beachtung zu schenken.
Zweitens wurde im Kommissionsvorschlag zu wenig darauf geachtet, die Realität der Produktionsemissionen besser abzubilden, Grenzwerte neu zu überprüfen und tatsächliche Einsparmöglichkeiten realistisch einzuschätzen. Die Gefahr, dass Verzerrungen sich dadurch weiter vergrößern, das heißt die einen zu viel, die anderen zu wenig erhalten, steigt.
Noch laufen die Verhandlungen und werden begleitet von einem Paket an neuen Vorschlägen, das die Kommission im Herbst 2016 unter dem Titel „Saubere Energie für alle Europäer" vorgelegt hat. Hier werden das Marktdesign der Strommärkte, die Zielvorgaben für Energieeffizienz und erneuerbare Energien und weitere Details für die nächste Periode überarbeitet. Es ist offensichtlich, dass Investitionen in Energieeffizienz sowie das Umsteigen auf erneuerbare Energien auch ganz direkt mit dem Emissionshandel in Verbindung stehen. Industrieunternehmen wie auch Energieerzeuger investieren in Energieeffizienz oder steigen auf erneuerbare Energien um, um ihre Emissionen zu verringern und weniger Zertifikate in Anspruch zu nehmen.
Mit Blick auf die Überarbeitung der Maßnahmen zum Klimaschutz für die Jahre nach 2020 wird die richtige Balance zwischen Energie-, Klima- und Industriepolitik wieder stärker in den Fokus zu stellen sein. Zu einer Neuausrichtung der EU-Klimapolitik gehören daher folgende Punkte.
- Die Gefahr der Investitionsverlagerung sollte ernster genommen werden. Das Ziel der Reindustrialisierung (20% Industrialisierungsrate bis 2020) läuft sonst ins Leere.
- Innovationsanreize müssen stärker betont werden. Der Emissionshandel sieht dazu eine Erhöhung des Innovationsfonds vor mit dem Ziel, weiterhin im Spitzenbereich innovativer Energietechnologie mitzuwirken. Wäre die Forschung beispielsweise erfolgreich, CO2 als Ressource für neue Produkte zu gewinnen, würde dies den CO2-Handel nachhaltig verändern.
- Da sich die laufenden Verhandlungen um ein ganzes Paket an Gesetzmaßnahmen kümmern müssen, wird es darauf ankommen, Kohärenz zwischen den einzelnen Gesetzesakten herzustellen. Ob das gelingen wird, zeigt sich im Detail erst bei der Umsetzung nach 2020.
Autorin: Silke Dalton ist Beraterin für Wirtschaft und Umwelt der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament.
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