Justiz
Die Rechtsauffassung in der DDR leitete sich aus dem Marxismus-Leninismus, und damit besonders aus dem dialektischen und historischen Materialismus bzw. seiner Auffassung vom Wesen des Rechts ab.
Die Verfassung der DDR stellte klar, dass der sozialistische Staat instrumentalen Charakter in den Händen der Arbeiterklasse unter Führung der SED besaß. In konsequenter Weiterentwicklung des Gedankens, dass das Recht der zum Gesetz erhobene Wille der herrschenden Klasse sei, wurde das sozialistische Recht der DDR zum Ausdruck der Macht der herrschenden Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, die sie durch ihr Hauptinstrument, den Staat, verwirklichte. Das sozialistische Recht in der DDR stellte ein Instrument des sozialistischen Staates dar, mit dessen Hilfe die Gesellschaft durch die Arbeiterklasse und ihre marxistisch-leninistische Partei geführt wurde.
Abb.: Walter Ulbricht überreicht Frau Dr. Hilde Benjamin, Minister für Justiz die Urkunde zum "Vaterländischen Verdienstorden" in Gold (1962, © Bundesarchiv, Bild 183-90575-0004 / Junge, Peter Heinz / CC-BY-SA 3.0)
Die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches waren anfangs in der DDR übernommen worden. 1976 wurde es dann durch das Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik ersetzt. Eigentums-, Patent- und Erbrecht waren eng begrenzt, das Vertragsrecht war der Planwirtschaft verpflichtet.
Die erste Verfassung aus dem Jahre 1949 enthielt neben dem Grundsatz des föderaler Aufbaus des Staates noch bürgerlich-demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung oder die Unabhängigkeit der Gerichte und der Rechtspflege sowie Grundrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit oder Auswanderungsfreiheit. Einzelne Elemente davon blieben zwar auch noch in der sozialistischen Verfassung der DDR von 1968 erhalten, galten in der Verfassungswirklichkeit aber nicht.Die für einen Rechtsstaat unabdingbare Unabhängigkeit der Gerichte war nicht gegeben. Das Rechtswesen der DDR entsprach damit nicht rechtsstaatlichen Standards. In der DDR waren Rechtsanwälte nicht unabhängig vom Staat. Sie hatten kein Recht auf Akteneinsicht und bekamen – wie die Richter – lediglich einen zusammenfassenden Bericht. Vor allem bei politischen Prozessen griff die SED-Führung außerdem oft direkt in Verfahren ein und legte Urteile fest bzw. korrigierte diese, dann meist im Sinne einer Strafverschärfung.
Politische Häftlinge gab es in der DDR-Terminologie nicht: Sie wurden kriminalisiert bzw. als „normale“ Straftäter angesehen. Bei Anklagen und Urteilen herrschte vielfach Willkür. Typische politische Delikte waren „Sabotage“, „staatsfeindliche Hetze“ oder „Rowdytum“. Nicht selten gab es bei den Verfahren gar keine Beweise, und die Urteile trafen solche, die mit den ihnen vorgeworfenen „Taten“ gar nichts zu tun hatten. Die Haftstrafen waren meist drakonisch und reichten von langen Gefängnisaufenthalten bis zu Lagerhaft in der Sowjetunion. Erst 1987 schaffte die DDR die Todesstrafe ab, 1981 wurde sie zuletzt vollstreckt (gegen den als Verräter deklarierten MfS-Hauptmann Werner Teske).
Abb.: Prozess gegen Fluchthelfer vor dem Obersten Gericht der DDR in Berlin (1962, © Bundesarchiv, Bild 183-A1227-0007-001 / Hesse, Rudolf / CC-BY-SA 3.0)
Art. 32 der Verfassung gewährleistete die Freizügigkeit, d. h. das Recht eines jeden Bürgers, innerhalb des Staatsgebiets der DDR und im Rahmen ihrer Gesetze seinen Wohnsitz oder zeitweiligen Aufenthalt frei zu wählen und sich innerhalb des Staatsgebiets aufzuhalten. Dessen ungeachtet war die DDR nach Art. 12 Abs. 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, den die DDR am 14. Januar 1974 ratifizierte und der am 23. März 1976 in Kraft trat, völkerrechtlich verpflichtet, ihren Bürgern die Ausreise zu gestatten. Dieser Verpflichtung kam die DDR mit folgender Begründung nicht nach: „Die Auswanderung ist ein typisches Produkt der Krisenwirtschaft kapitalistischer Staaten, in der DDR gibt es keine soziale Basis für ein Grundrecht auf Auswanderung. Die Entscheidung über Auswanderungsanträge liegt im freien Ermessen der Verwaltungsbehörden, die dabei die Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus zu berücksichtigen haben, sie stellen in Rechnung, dass die Auswanderung in einen imperialistischen Staat bedeutet, Menschen einem System auszuliefern, das sie ausbeutet und zwingt, einer aggressiven Politik zu dienen, die ihre Existenz gefährdet und sich gegen den Sozialismus richtet.“